Zwischen 1900 und 1932 gebraucht Sigmund Freud mehrfach den Begriff „Kulturarbeit“: in der Traumdeutung (1900) fällt sie mit der Vertreibung aus dem Paradies und dem Beginn des Geschlechtslebens zusammen, in Die »kulturelle« Sexualmoralmoderne Nervosität (1908) mit dem Triebschicksal „Sublimierung“, in Zukunft einer Illusion und Das Unbehagen in der Kultur (1927 / 1929) hat sie wesentlichen Anteil an der gegenseitigen Bindung der Mitglieder einer Gesellschaft, 1932 schließlich, in seiner Vorlesung über Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit, bringt Freud sie ins Bild der Trockenlegung der Zuydersee, verbunden mit dem – sehr unterschiedlich interpretierten – Satz „Wo Es war, soll Ich werden“.
Die Freudsche „Kulturarbeit“ passiert in einer psychoanalytischen Kur; dieser Begriff unterscheidet sich also von seinem heute gängigen Verständnis einer Kulturvermittlung an bestimmte Bevölkerungsgruppen. Zugleich sind die konkrete historische Subjektivität, die Strukturierung der Psyche sowie das Entstehen der Psychoanalyse und der psychoanalytischen Kur selbst Resultat von Kulturarbeit.
In dem Seminar wird die Lektüre dieser Freudschen Texte verknüpft mit klinischen, metapsychologischen, kulturhistorischen und politischen Untersuchungen zu Fragen wie: historische Subjektivität. Objektive und subjektive Kultur (deren Dialektik Georg Simmel in einem der letzten Kapitel seiner 1900 erschienenen Philosophie des Geldes entwickelt).
Wie wird Psyche behandelt – d.h. konzipiert, gedacht, und auf sie eingewirkt. An welchen Zielen orientieren sich die Psychoanalyse und unterschiedliche Psychotherapien? Sublimierung als Wert.
Funktion der 1932 einsetzenden Trockenlegung der Zuydersee für Freuds Metaphorik. Vergleich mit anderen Großprojekten jener Zeit: Elektrifizierung der Sowjetunion, Bonifica der Pontinischen Sümpfe, Tennesee Valley Authority, Reichsautobahn (vgl. Wolfgang Schivelbusch: Entfernte Verwandtschaft: Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal 1933 – 1939).
Kulturelle und politische Funktionszuweisungen an die Psychoanalyse (als Teil der psychohygienischen Versorgung, zur Reproduktion der Arbeitskraft, …)
Die Psychoanalyse und Michel Foucaults Konzept der „Sorge um sich“ (souci de soi; Sexualität und Wahrheit, Bd. 3).
Warum Zuydersee? Freudsche ‚Kulturarbeit’ und die psychoanalytische Kur. Wie wir heute Psyche behandeln.
Öffentliches Seminar der FLG (Freud-Lacan-Gesellschaft, Berlin) und der AFP (Assoziation für die Freudsche Psychoanalyse) geleitet von Claus-Dieter Rath.